„Die Geburt ist nicht ein augenblickliches Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang. Das Ziel des Lebens ist, ganz geboren zu werden, und seine Tragödie, daß die meisten von uns sterben, bevor sie ganz geboren sind“.

Wem diese Herangehensweise des großen Philosophen Erich Fromm an das Thema Älterwerden zu wenig praxisbezogen, zu wenig „alltagstauglich“ ist, der kann es hiermit versuchen: Wie gesund (gemeint ist rundum gesund, so zu sagen kerngesund) kann ich alt werden? Dabei zwingen uns die Hightech-Medizin, die Pharmaindustrie und die Fitness- und Wellnessbranche gern die Frage  „wie kann ich gesund alt werden?“ auf, eine gänzlich untaugliche Herangehensweise an das Thema.
Die moderne Medizin ist leider immer noch vorwiegend krankheitsorientiert. Die Devise lautet „vom Symptom zur Diagnose“, wenn möglich schließt sich eine effiziente (hoffentlich nebenwirkungsarme) Therapie an. Im Mittelpunkt steht die Krankheit und die Ursache dafür. So gesehen ist das Meiste an der modernen Medizin Ursachenforschung nach der Erkenntnis „ohne Ursache keine kausale Therapie“. Das heute immer noch Auf- der- Stelle- Treten bei bestimmten Krankheiten (z. B. Krebs) zeigt die Grenzen dieser Herangehensweise auf.
Die Lösung kann nur in einer neuen Orientierung bestehen, die eigentlich uralt ist, nämlich in der Orientierung auf das Phänomen Gesundheit. Es darf nicht um die Frage gehen „warum ist Krankheit entstanden“ (Pathogenese), sondern „warum ist Gesundheit abhanden gekommen“ und wie kann sie erhalten bleiben (Salutogenese). Dann wird  Prävention, Gesundheitsvorbeugung ein Leben lang zu einem wirkungsvollen, vielleicht sogar glücksbringenden  Instrument der Lebensverlängerung. Und wie gesund der Einzelne älter werden kann, hält er dann zu mehr als der Hälfte in seinen eigenen Händen. Mit den Prinzipien der Salutogenese könnte die Medizin eher ein Älterwerden in Würde, mit den Prinzipien der Pathogenese oft eher das notwendige Funktionieren von Intensivstationen bewirken.

Neben dem Anliegen der heute fast allgegenwärtigen Anti-Aging Bemühungen, dem Leben ein Mehr an Jahren zu schaffen, erscheint doch dieses Ziel noch wünschenswerter: den dazu gewonnenen Jahren quasi mehr Leben, mehr Erfüllung, mehr Stärke zu geben. Denn keiner will das Alter als Lebensphase voller Gebrechen und Leistungsdefizite erleben, sondern legt Wert auf die Chancen, die dieser Reifezeit innewohnen. Einige der Stärken älterer Menschen liegen in

  • der Fähigkeit, die Lebensziele anderer Menschen zu fördern, vor allem die der jüngeren, nachfolgenden Generationen,
  • der Fähigkeit, für sich neue Lebensziele aus dem Akzeptieren der jetzt offensichtlich gewordenen Lebensgrenzen zu finden,
  • der intensiveren Konzentration auf die Zukunft der Gesellschaft.

Ein Teil dessen, was ältere und alte Menschen als Lebenskraft empfinden, entsteht aus diesen Fähigkeiten. Gesundheit im Alter bedeutet aber auch, ein möglichst unabhängiges Leben trotz  mancher Behinderung zu führen, mit dieser Realität zu leben und dabei auch unvermeidbare Verluste in der eigenen Autonomie zu akzeptieren. Als beste Werkzeuge auf diesem Weg haben sich die guten sozialen Kontakte und die Pflege der (Selbst-) Verantwortung erwiesen. Auf diesem Wege kann tatsächlich so etwas wie ein  erfolgreiches Älterwerden entstehen.