Monat: März 2009

Praevenire, einer Krankheit zuvorkommen

Prävention muss Spaß machen

Primäre Krankheitsprävention zielt auf Verhindern oder zumindest Hinauszögern und Abmildern von Gesundheitsstörungen. Bei Krankheiten mit bekannt hohem externen Risiko (z.B. Lungenkrebs und Rauchen) gelingt das mit persönlichem Einsatz sehr gut. Selbst bei Krankheiten mit genetischer Belastung (Veranlagung) gelingt Prävention, wenn auch der individuelle Aufwand  beträchtlich sein kann (z. B. bei der Zuckerkrankheit  die Gewichtsreduktion und das Körpertraining). Bei Erbkrankheiten ist eine primäre Prävention unwirksam, da der ultimative Ausbruch der Krankheit im Erbmaterial vorgegeben ist (z. B. Bluterkrankheit).

Primäre Prävention beinhaltet aber auch zwei Dinge, die sich bei den meisten Präventionswilligen sinnvoll ergänzen sollten. Das ist zum einen der vernünftige Umgang mit den Ressourcen des Körpers. In vielerlei Hinsicht gilt – was reinkommt bestimmt, was raus kommt. Das beinhaltet Energie- und Aufbaustoffe wie auch Gifte, sowie mentale Energien. Input und Output bestimmen, ob ein gesundes Gleichgewicht zu erreichen ist.

Andererseits ist primäre Prävention auch Verhaltensmedizin. Hierunter ist die eigenverantwortliche Korrektur riskanter Verhaltensmuster zu verstehen. Prävention muss Spaß machen. Am erfolgreichsten erscheint es, wenn der vernünftige Umgang mit sich selbst zu einem Selbstläufer wird, in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Am meisten Freude bereitet es, wenn Prävention zu einem darstellbaren, vielleicht sogar messbaren Gesundheitsergebnis führt. Das kann gewonnene Fitness nach Gewichtsreduktion sein. In den allermeisten Fällen sind es jedoch Langzeiteffekte, die oft erst nach Jahren den eingeschlagenen Weg der Prävention als richtig und erfolgreich ausweisen. Das Abgewöhnen von Rauchen, die Minderung der UV- Bestrahlung, das Umstellung der Ernährung auf hochwertige Produkte und Zusammensetzungen sind alles wertvolle Präventivmaßnahmen, deren Effekt erst nach längerer Zeit zu erwarten ist. Daher muss man an Prävention in gewisser Hinsicht auch glauben. Man muss den Statistiken vertrauen, die Gesundheitspflege, Krankheitsvorbeugung und die Verhinderung einer Erkrankung, was auf das selbe herauskommt, als effektiv ausweisen. Man muss akzeptieren, dass Prävention messbare positive Resultate haben wird und damit etwas Gutes, etwas Erstrebenswertes ist.

Trübsinnige Prävention bleibt eher wirkungslos. Steht ein ständiges du musst dahinter, und wird Krankheitsverhinderung verkrampft betrieben, so macht sie Stress und per se krank. Wer vor lauter Pillen, Säften, Maßregeln und Gesundheitstabellen die Vernunft, den gesunden Menschenverstand außer Acht lässt, der wird am Ende wenig gewonnen haben. Er verliert die Lust zum Leben und wird nur noch geleitet vom Drang zu leben.

Ein Bonmot zu guter Letzt: Wer vor lauter Prävention tatsächlich gesund sterben sollte, der ist am Ende doch mausetot.

Wunscherfüllende Medizin

Ziele der Medizin sind im medizinischen Grundverständnis verankert. Ohne die Besonderheiten der ärztlichen Grundhaltung lassen sich die Ziele in einem für die Gemeinschaft verträglichen Kontext nicht erreichen. Dabei werden die meisten Gesellschaften sich in Zukunft auf eine gesundheitsbezogene Grundversorgung beschränken müssen. Gemeint ist eine Krankheitsverhütung, welche eng verbunden ist:

  • mit einer Gesundheitsförderung durch Bildung, Erziehung und Unterweisung;
  • mit der Heilung von Krankheiten;
  • mit der Fürsorge, wenn Heilung nicht mehr möglich ist, verbunden mit Linderung von Schmerz und Erleichterung von krankheitsverursachtem Leid;
  • mit der Vermeidung eines frühzeitigen Todes und dem Streben nach würdigem Sterben.

Das medizinisches Grundverständnis, das nicht neu definierbar und damit nicht zur Disposition stehend ist, kann ins Wanken geraten, wenn Ökonomisierungszwänge zur Rationierung Anlass geben. Eine noch weiter fortschreitende Zwei- oder Mehrklassenmedizin bereitet dann den Boden für eine wunscherfüllende Medizin jenseits der medizinischer Grundversorgung.

Der traditionelle medizinsuchende Patient war krank oder fühlte sich so, und suchte  beim Arzt Linderung oder Heilung. In einigen medizinischen  Bereichen zeichnet sich nun ein neuer Ratsuchender, nämlich ein Nutzer medizinischer Leistungen als ein Klient ab. Im Internet teilgebildet braucht er medizinisches Wissen und Können nicht mehr dazu, um aus seinem Leiden das normale Elend zu machen. Vielmehr benötigt er ärztliche Expertise und industrielle Ware, um seine eigene körperliche Verfassung mit seiner gewünschten Lebensführung zur Deckung zu bringen. Er braucht den Leibarzt neuer Prägung und zahlt dafür. Schlagwörter in diesem Zusammenhang sind:

  • Vitaloptimierung,
  • Sexualoptimierung (Viagra etc.),
  • Schönheitschirurgie (z. B. Sissi-Krankheit),
  • Anti-Aging (Jugendwahn),
  • Lebensplanung (Reproduktionsoptimierung inklusiv vorgeburtliche Merkmalsfestlegung),
  • Alternativmedizin (Wellness statt Heilen)
  • und andere mehr.

Das ärztliche Grundverständnis gerät ins Wanken.

Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit.

Das gängige Verständnis von Krankheit folgt dem Prinzip der Pathogenese. Hierunter verstehen wir das Krankheitsprinzip, dass jeglicher Krankheit eine dingliche Ursache, gefolgt von einem Bündel von Symptomen und so genannten Befunden, zugrunde liegt: Bakterienbefall, bösartiges Zellwachstum, degenerative Veränderungen (also Abnutzungserscheinungen), mechanische, chemische oder gar genetische Einflüsse, oder definierte Mangelerscheinungen. So wird aus Intaktheit, also Gesundheit Krankheit. Und falls die richtige Diagnose zur richtigen Therapie führt, wird aus Krankheit wieder Gesundheit.

Diese auf Pathogenese beruhende medizinische Handlungsprinzip ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn allein das unterschiedliche Ansprechen auf eine Medizin, der unterschiedliche Ausgang einer Operation trotz äußerlich identischen Ausgangssituationen, der sehr variable Krankheits- bzw. Gesundungsverlauf bei gleichem Krankheitsstadium und identischer Behandlung zeigt schon, dass noch viel mehr Faktoren von Bedeutung sind. So macht  man sich in den letzten Jahren immer mehr eine zweite Herangehensweise als Handlungs- (und Behandlungs-) Prinzip zunutze, das der Salutogenese.

Salutogenesedenken geht gegenüber Pathogenesedenken davon aus, dass sich der Mensch immer in einem bestimmten Stadium von Gesundheit befindet.  Er bewegt sich zu jeder Zeit auf einer Befindlichkeitsachse von „ganz wenig gesund“ (krank im alten Sinne) auf der einen Seite bis „ganz viel gesund“, also heil, auf der anderen Seite. Der Stand auf dieser Salutogenese-Achse wird von ganz vielen persönlichen, also inneren Fähigkeiten, Ressourcen beeinflusst. Gesundheitsforscher sprechen von Koheränzsinn. Hiermit meinen sie die Summe aller Entfaltungsmöglichkeiten eines Menschen in Richtung positives Denken, Annahme der jeweiligen Situation, d. h. Mut, Zuversicht und Überlebenswille – um nur einige zu nennen. Durch Mobilisierung der Ressourcen wird Gesundbleiben oder Gesünderwerden auch zu einem Prozess, in dem natürliche Selbstheilung und Selbstordnung der eigenen Widerstandskräfte zum Zuge kommt. Die spektakulären Erfolge der westlichen,  naturwissenschaftlich ausgerichteten Medizin haben den Blick dafür verstellt, dass auch bei von außen angewandten therapeutischen Eingriffen wie operative Entfernungen oder Ausschaltungen von Organteilen, Chemotherapie oder Krebszerstörung durch Bestrahlung die meisten Heilungen letzten Endes immer auch auf  salutogenetische Fähigkeiten des Organismus zurückzuführen sind. Hierzu gehört insbesondere die  Immunabwehr bei Infektionen oder Krebs, die Wundheilung bei Verletzungen und Eingriffen, das kompensatorische  Wachstum von Restorganen sowie die  Regulation und Adaption im komplexen Stoffwechselgeschehen.

So ist Selbstheilung nichts anderes als die optimale Mobilisierung all dieser salutogenetischen Fähigkeiten, die jedem in individuell ausgeprägter Stärke von Natur gegeben sind. Zuversicht, Glaube und die Einsicht, dass  Krankheit keine vom Schicksal auferlegte Strafe, sondern etwas Natürliches ist, kann Gesundung und Heilung oft mehr fördern als jeder Arzt.

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